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Das Anorexie-Kachexie-Syndrom (AKS) bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen

Das Anorexie-Kachexie-Syndrom (AKS) bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen

Die Hälfte aller Krebspatientinnen und -patienten und bis zu 80% der Palliativpatientinnen und -patienten leiden unter AKS. Die Betroffenen beobachten eine Abnahme des Appetits und gleichzeitig einen Verlust an Körperkraft und -gewicht. Dies führt zu einer äußerst belastenden Unsicherheit über die Bedeutung und Ursachen der aktuellen Veränderungen sowie welche Maßnahmen notwendig und geeignet wären, diesen zu begegnen. Die Belastung wird von Patientinnen und Patienten sowie deren Familien als sehr hoch (ein Drittel der Betroffenen) bis extrem hoch (ein weiteres Drittel) eingeschätzt. Ein gutes therapeutisches Konzept umfasst neben dem körperlich-biologischen Aspekt die psychosoziale Belastung mit Unsicherheit und Ängsten sowie die spirituelle Bedeutung der existentiellen Frage nach der Endlichkeit des Lebens. Die Belastungen bei Betroffenen können mit geeigneten Angeboten deutlich reduziert werden. Schlüssel dazu ist es, zum einen den Zeitpunkt zu erkennen, an dem weitere Maßnahmen der intensivierten natürlichen oder (ergänzenden sowie ausschließlichen) künstlichen Ernährung keine Besserung für Patientinnen und Patienten bedeuten, da die zugeführten Nährstoffe nicht mehr wie zuvor verwertet werden können, sondern eher Schaden bewirken. Symptome wie Übelkeit und Erbrechen können hervorgerufen oder verstärkt werden, da die nicht regelrecht verarbeiteten Nährstoffe im Blutkreislauf zirkulieren und die Leber den Körper nicht mehr hinreichend entgiften kann. Zudem werden häufig durch die Flüssigkeitsüberlastung und die dadurch bedingte Zunahme von Gewebsflüssigkeit u.a. in Lunge und Bauchraum Luftnot und Schmerzen ausgelöst oder verstärkt.

Zu erkennen, wann und wie lange Maßnahmen zur künstlichen Ernährung für die Kranken nützlich sind und wann sie mehr schaden als nutzen, ist für alle Betroffenen in Hinblick auf Lebensqualität und Behandlungsplanung essenziell. Ein gutes Ernährungskonzept soll eine ausgeglichene Ernährung so lange, wie sie therapeutisch sinnvoll ist, ermöglichen oder unterstützen und gleichzeitig die offene, ehrliche und angemessene Kommunikation beinhalten, um Behandlungsziele und deren Änderung im Verlauf nachvollziehbar zu erklären und auch die damit verbundenen Ängste und Sorgen der Betroffenen zu adressieren. Das ist besonders herausfordernd, weil beim Wechsel des Therapieziels das bisherige Behandlungskonzept, das auf intensiver (künstlicher) Ernährung und Flüssigkeitszufuhr basierte und über lange Zeit richtig und notwendig war, nun zugunsten eines neuen Konzepts aufgegeben werden muss. Dieses veränderte Konzept sieht dann, wenn der Schaden größer als der Nutzen ist, eine Reduktion oder in Einzelfällen sogar den Verzicht auf künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr vor.

Dabei stellen sich verschiedene Herausforderungen: (a) zu erkennen, wann das AKS aufgetreten und irreversibel ist. Dafür bedarf es neben der klinischen Einschätzung Biomarker, die diese Diagnose bei Palliativpatientinnen und -patienten möglich machen; (b) die therapeutischen Maßnahmen anzupassen. Zu diesem Zweck ist eine hohe diagnostische Sicherheit notwendig und die Möglichkeit eines Monitorings der Effekte der Anpassung; (c) unter Einbeziehung eines fundierten Verständnisses der Veränderungen des Körpers bei einer fortgeschrittenen Krebs- / Erkrankung im Allgemeinen, aber auch der persönlichen Situation der Patientin oder des Patienten im Besonderen auf die Sorgen und Ängste aller Betroffenen individuell eingehen zu können und damit die Behandlungsentscheidungen nachvollziehbar kommunizieren zu können. Kenntnisse über die krankhaften Veränderungen und die damit verbundenen biochemischen Veränderungen im Körper können dabei helfen, Betroffenen und deren Umfeld den Hintergrund der Behandlungsplanung verständlicher erklären, Ängste und Sorgen besser zu adressieren und angesichts der existentiellen Bedrohung der Endlichkeit des Lebens die Betroffenen umfassend und bestmöglich begleiten zu können.

Mit Unterstützung der ALIVIA-Stiftung  können wir ab dem vierten Quartal des Jahres 2024 die systematische Erforschung dieser äußerst wichtigen wissenschaftlichen Fragen beginnen.

Kontakt: tobias.steigleder(at)uk-erlangen.de